Zu viele Promotionen? – eine Antwort auf Jürgen Kaube
Eine Inflation an Promotionen attestierte jüngst der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Peter-André Alt, dem deutschen Wissenschaftssystem und riet dazu, diese „kritisch zu hinterfragen“ angesichts der Tatsache, dass nicht einmal ein Fünftel der Promovierten dauerhaft im Wissenschaftsbetrieb verbleibe. Der FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube griff das Thema am 08.09.18 auf und argumentierte mit den angeblichen „Belastungen […], die den Hochschulen durch so viele Doktoranden erwachsen“.
Aachen/Münster, 14.09.2018. Ein Argument, das schon auf den ersten Blick irritiert, dient eine Promotion doch der wissenschaftlichen Qualifizierung und ist zugleich ein Beitrag zum Fortschritt in der Forschung – beides Anliegen, die zum Wesen und den Kernaufgaben von Hochschulen gehören.
Immense Bedeutung im Forschungsalltag
Doch auch der zweite Blick auf dieses Argument verstärkt die Irritation nur mehr als dass er sie abschwächt. Blickt man nämlich auf die Forschung an deutschen Hochschulen, so stellt man fest, welch immense Bedeutung die Beiträge von Doktorandinnen und Doktoranden haben.
Kaum ein Drittmittelprojekt könnte allein mit den Ressourcen erfolgreich sein, die eine Professorin oder ein Professor mitbringen.
Und dies gilt unabhängig davon, ob es sich nun um einen Universitätsprofessor mit einer Lehrverpflichtung von neun Semesterwochenstunden oder um eine FH-Professorin mit einer doppelt so hohen Lehrverpflichtung handelt. Aufgaben in der akademischen Selbstverwaltung, Publikationen, Konferenzbeiträge und anderes reduzieren die Forschungskapazitäten einer jeden Professur weiter. Ohne Mitarbeit eines qualifizierten Mittelbaus ist Forschung an deutschen Hochschulen überhaupt nicht vorstellbar. Wer schreibt den Drittmittelantrag zwischen Vorlesung am Morgen, Senatssitzung am Mittag und Sprechstunde am Nachmittag, wenn nicht Assistentinnen und Assistenten wesentliche Vorarbeiten leisten? Wer überwacht die Versuchsreihe im Labor, die mehrere Tage umfasst, wenn zwischendurch das Seminar und die Vorbereitung der nächsten Veröffentlichung im Fachjournal rufen? Forschung an Hochschulen ist Teamwork, von der alle Beteiligten profitieren.
Promotion nicht nur im Wissenschaftsbetrieb hilfreich
Und auch der dritte Blick auf das Argument der „Belastung“ durch Doktorandinnen und Doktoranden lässt dieses nur noch schräger erscheinen. Denn was ist eine Promotion eigentlich? Sie ist eine Qualifikationsschrift. Eine Qualifikation für die Übernahme weiterer Aufgaben unter anderem im Wissenschaftsbetrieb. Nun bietet die Hochschullandschaft trotz kontinuierlich hoher Studierendenzahlen nun wahrlich nicht für alle Promovierten eine Stelle als Hochschullehrerin oder Hochschullehrer. Doch mutet die Auffassung auch merkwürdig an, dass eine erfolgreiche Promotion allein im Wissenschaftsbetrieb eine adäquate Qualifikation darstellt. Allein ein Blick in die Vorstandsetagen der großen Konzerne und Banken, die Labore von Unternehmen der Chemie- und Pharmabranche oder die Fachreferate in Behörden und Ministerien offenbart, dass auch jenseits des unmittelbaren Wissenschaftsbetriebs die abgeschlossene Promotion der Schlüssel zu einer ganzen Reihe von Stellungen und Positionen ist, insbesondere auf der Führungsebene. Eine erfolgreich abgeschlossene Promotion steht für die Fähigkeit des Bewerbers, sich über einen längeren Zeitraum eigenständig einer spezifischen Fragestellung zu widmen, sie gewissenhaft und sorgfältig zu bearbeiten, gewonnene Erkenntnisse kritisch zu hinterfragen und gegen Einwände zu verteidigen. Sie dokumentiert Durchhaltevermögen und Disziplin genauso wie Neugier, Ehrgeiz und analytische Fähigkeiten.
Promotionen haben breiten volkswirtschaftlichen Nutzen. Es geht nicht nur um die Entwicklung der Wissenschaft, sondern insbesondere auch um den Nutzen der Erkenntnisse für die Gesellschaft.
Insofern sind Promotionen allgemein, aber insbesondere für die Innovationsforschung unverzichtbar. Und wer meint überhaupt, die Ausbildung an einer Hochschule solle allein für den Wissenschaftsbetrieb qualifizieren? Dann ließe sich die in den letzten Jahren im großen politischen Konsens landauf und landab betriebene Ausweitung der Studienplätze und weitere Öffnung der Hochschulen als Ganzes in Frage stellen. Ein Blick ins Arbeitsrecht zeigt zudem, dass sich die im Hochschulbetrieb so weit verbreitete Befristung von Beschäftigungsverhältnissen rechtlich einwandfrei allein mit dem Hinweis auf die während der Tätigkeit erfolgende Qualifizierung begründen lässt. Und das aus gutem Grund.
Ohne Doktorandinnen und Doktoranden stellt sich für den Wissenschaftsbetrieb schneller als gedacht die Überlebensfrage. Nicht allein, wenn es um den professoralen Nachwuchs geht, sondern genauso mit Blick auf die Leistungsfähigkeit des Forschungs- und Innovationssystems. Doktorandinnen und Doktoranden entwickeln mit ihren Arbeiten die Forschung weiter. Sie qualifizieren sich für spätere Aufgaben in Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung. Ihre Ausbildung ist für Hochschulen nicht zum Nulltarif zu haben. Was sie mit ihrer Arbeit Hochschulen und Wissenschaft aber bringen, ist unbezahlbar.