Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaft fordern Hochschulimpfkampagne als Voraussetzung für mehr Präsenzlehre im kommenden Wintersemester
Vielerorts in Deutschland wird derzeit seitens der Politik die Hoffnung geweckt, dass die Hochschulen in dem ab Oktober beginnenden Wintersemester ihre Lehrveranstaltungen wieder flächendeckend im Präsenzbetrieb anbieten würden. Tatsächlich wünschen sich auch die Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaft (HAWen) in Nordrhein-Westfalen, die gemeinsam rund ein Viertel der Studierenden in Deutschland betreuen, nichts sehnlicher, als Lehrende und Lernende ab Herbst auf den Campussen vor Ort wieder akademisches Leben live erfahren zu lassen. Damit dies jedoch im Bereich des Möglichen bleibt, fordern sie von den politisch Verantwortlichen unmittelbare und wirksame Weichenstellungen.
Konkret heißt das, wie die beiden Vorsitzenden der Landesrektorenkonferenzen Prof. Lambert T. Koch und Prof. Marcus Baumann betonen, „dass alle Mitarbeitenden und Studierenden bis Anfang, spätestens Mitte August flächendeckend ein verbindliches Impfangebot erhalten haben müssen“. Dieser Termin sei nicht willkürlich gewählt, sondern lasse sich aus der Tatsache zurückrechnen, dass das Semester Anfang Oktober 2021 starte und alle bis dahin über einen vollwirksamen Impfschutz verfügen müssten. Gehe man weiterhin von zwei notwendigen Impfungen aus, einem Abstand zwischen den Impfungen von sechs Wochen (Beispiel BioNTech) sowie einer Zeit von weiteren 14 Tagen bis zur vollen Wirksamkeit nach der zweiten Impfung, müssten alle rund 750.000 Studierenden in Nordrhein-Westfalen sowie alle Mitarbeitenden noch in der ersten Augusthälfte das erste Mal geimpft sein.
Mit Blick auf die Frage, wann die Hochschulimpfkampagne starten sollte, müsse das Land entscheiden, wie viele Studierende pro Tag geimpft werden können. Begänne man beispielsweise Anfang Juli, was jetzt schon organisatorisch kaum mehr möglich sei, müssten unter der Annahme, dass aktuell noch bis zu 60 % dieser Gruppe gar nicht geimpft sind, bis August in den verbleibenden vier bis fünf Wochen an jedem Werktag mehr als 15.000 Studierende geimpft werden, sind sich die LRK-Vorsitzenden einig.
Wenn dies nicht gelänge, würden die Verantwortlichen nicht umhinkommen, den Hochschulen weiterhin Abstandsregeln bei der Nutzung der Hörsäle aufzuerlegen. Bei einem derzeit geltenden 1,50 m-Pflichtabstand könnten angesichts notorisch knapper Raumressourcen rein rechnerisch dann nur ca. 20 % der Studierenden zurück in die Hochschulen kommen. Dies aber sei den jungen Menschen, die nun schon drei komplette Semester von zu Hause aus studieren müssten, nicht mehr zuzumuten. Die Impfung sei aber auch deshalb dringend nötig, weil aktuell schon über 50 % der Neu-Infizierten in die Gruppe der jungen Menschen fielen.
Zusätzlich ist zu befürchten, dass im Herbst die deutlich aggressivere Delta-Variante des Virus dominieren wird, die für ungeimpfte junge Menschen noch gefährlicher ist. Dabei vergessen viele in Politik und Gesellschaft, dass Studierende jeden Tag in völlig unterschiedlich zusammengesetzten Lehrveranstaltungen sitzen und im Personennahverkehr teils weite Strecken zurücklegen. Das unterscheidet sie als potentielle „Spreader“ deutlich von Schülerinnen und Schülern, die ein ganzes Schuljahr lang in einem Klassenverband bleiben und aus dem Nahbereich in die Schulen kommen. Auch wenn man die derzeitigen Anstrengungen vieler Universitäten und HAWen, teilweise in Kooperation mit ihren Uni-Kliniken und den Hochschulärzten, Impfkampagnen zu organisieren, in Rechnung stellt, reichen diese allein bei weitem nicht aus, um rechtzeitig den vollen Impfschutz sowohl für bereits eingeschriebene Studierende als auch die kommenden Erstsemester zu erreichen.
Die Hochschulen des Landes fordern daher, als Voraussetzung für ein Präsenzsemester ab Herbst, sehr zeitnah eine Hochschulimpfkampagne auf die Beine zu stellen. Sollte dies der Politik nicht möglich sein, erwarten die Hochschulen eine klare Rückendeckung dafür, dass sie zum Schutz ihrer Mitarbeitenden und Studierenden die bisherige Praxis einer weitgehenden Online-Lehre leider auch im Wintersemester fortsetzen müssten.